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Kurzgeschichte: Drei Haare und ein Kater

„Ich hab’ drei Haare auf der Brust, ich bin ein Bär! Du hast drei Haare auf den Zähnen, bist `ne Frau!“ Das T-Shirt mit dieser Aufschrift hätte ich wohl besser nicht angezogen. An unserem Jahrestag als Liebespaar. Aber so etwas wird einem ja auch erst immer gesagt, wenn man sich schon für seine Kleidung entschieden hat. „Heute ist Valentinstag!“, „Schatz, heute ist mein Geburtstag!“, oder „Sie können die Braut jetzt küssen“. Immer bin ich falsch angezogen.

Der Grund, warum Jasmin allerdings weggelaufen ist, war nicht das Shirt, sondern viel eher mein mit Unterstützung eines Glasbataillons Krombacher heraus Gebrülltes, was der T-Shirt-Aufschrift erschreckend nahe kam. War halt nur die zweite Hälfte davon. Acht Mal. Hintereinander. Mit wahrscheinlich eher feuchter und übel riechender Aussprache mitten in ihr Gesicht. Oh, ihr schönes Gesicht – wie ich es vermisse. Also sonst war es schön. Zu dem Zeitpunkt nicht wirklich.

Wir hatten in unserem langen Liebesleben noch nie über Haare gestritten. In den ganzen… Hm, gut, dass sie nun nicht da ist, und mitbekommt, dass ich schon wieder vergessen habe, wie lange wir schon zusammen sind. Ach ja, 1 Jahr, ziemlich genau! Wir haben uns über Blicke zu anderen Frauen, Blicke zu anderen Männern – übrigens allesamt meine Blicke – das Herausbringen des Mülls und Gott und die Welt gestritten. Letzteres war eine Sendung im Westdeutschen Rundfunk. Aber noch nie, noch nie in all den Jahren, haben wir über Haare gestritten. Ähm, in dem Jahr. Okay, einmal waren wir kurz davor. Ich kritisierte ihren immer spärlicher werdenden Umgang mit dem Lady Shaver. Sie hatte zuletzt nur noch morgens und abends rasiert. Wo kommen wir denn da hin? Haare gehören nicht auf Frauenbeine. Die gehören auf Köpfe, Hunde, oder in „Ober, da ist was in meiner Suppe“-Witze.

Wobei, wenn ich so recht darüber nachdenke, streiten wir aktuell gar nicht über Haare. Das ist doch nur ein lustiger, oder sagen wir lieber, lustig gemeinter, T-Shirt Aufdruck. Außerdem streiten wir auch gar nicht. Sie ist ja einfach abgehauen, und hat mich alleine in dieser abgefuckten Bar gelassen. Kein Wunder, dass sie hier eigentlich nicht hin wollte. Aber hier sind halt meine ganzen Freunde. Und die muntern mich nun auf. Johnny, Jim und Jägermeister. Dass die alle mit ‚J’ anfangen, wie lustig. Dass ich so etwas lustig finde, wie armselig. Aber nach einigen feucht-fröhlichen Runden, beginnt das Leben sich wieder von tiefschwarz in ein dunkles grau zu erhellen.

Ein paar Jugendliche fragen, ob ich beim Kickern den vierten Mann spielen könnte, und ich willige mit einem „Jawohl, bringet mir das Spielgerät“ ein. Nach einem glorreichen sechs-zu-zwei-Erfolg mit 5 Toren von mir, setzen wir uns an einen freien Tisch und es gesellen sich meine J-Freunde hinzu. Wir reden über Ladies, Sport, Frauen, Fußball und die Weiber. Hin und wieder versucht einer der jungen Männer, sich an eine Kellnerin, oder einen weiblichen Gast heranzumachen, aber immer kommen nur Abfuhren heraus. Schade eigentlich. So schlecht sehen die Jungs doch gar nicht aus. Für diesen Blick würde ich von meiner Jasmin nun aber gehörig einen auf den Hinterkopf bekommen. Aber sie ist ja nicht da. Genau – sie ist nicht da.

„Die ist doch gar nicht da!“ ruft mir eine kleine rote Gestalt mit Dreizack auf meiner rechten Schulter zu. „Doch, doch, die ist immer da!“ schreit mir ein in weiß gekleidetes Etwas von der anderen Seite ins Ohr. Aber die rote ist viel gefährlicher mit ihrer Waffe in der Hand, also glaube ich ihr. Außerdem wollen die Jungs schon die ganze Zeit, dass ich ihnen zeige, wie man Frauen beeindruckt und so zum Ziel kommt. Ich begutachte also konzentriert den Raum. Viele gut aussehende Frauen, meist allerdings zu jung, oder anscheinend in männlicher Begleitung. Aber eine Frau scheint gelangweilt allein an einem Tisch zu sitzen. Schöne blonde lange Haare, ein wunderschönes Gesicht. Es nicht zu versuchen wäre ein Verbrechen an das männliche Geschlecht. Die Jungs am Tisch pflichten mir mit Schulterklopfern bei und ich stehe langsam auf um gezielt auf das angepeilte Weibchen zu pirschen.

„Eine so hübsche Frau sollte nicht traurig dreinblicken“ sage ich, während ich mich auf den Stuhl gegenüber setze. „Äh. Bitte was?“ entgegnet mir die Schönheit. „Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich mich kurz dazu geselle? Ich habe von dort drüben mit meinen Freunden bemerkt, dass Sie geknickt zu sein scheinen, und dachte mir, ich frag mal, ob alles in Ordnung ist?“. „Nein, nichts ist in Ordnung!“ entgegnet sie. Und das schien es wirklich nicht zu sein. Sie erzählte mir von ihrem letzten Freund, der ein ziemliches Arschloch gewesen sein muss, und dass sie einen wirklich schlimmen Abend erlebt hat. Ich versuche sie aufzumuntern, und bestelle uns ein paar Drinks. Nach einiger Zeit beruhigt sie sich, und wir können normal reden. Es macht wirklich Spaß, mal wieder mit einer Frau zu reden, die nicht einfach so wegläuft. Und dazu noch mit einer so hübschen.

Nach einem obligatorischen Toilettengang schlendere ich kurz zur Bar, um noch eine weitere Runde Cocktails zu ordern, als ich auf einmal aufwache. Ich liege in meinem Bett, und schaue verwundert auf die Uhr. 13:34. Mein Kopf brummt. Das zum Thema „Ich hab’ drei Haare auf der Brust und bin ein Bär“. Den Schädel hab ich jedenfalls wie einer. Ich drehe mich zur anderen Seite um den Kopf in eine möglicherweise erträgliche Position zu wenden. Doch was sehe ich da? Eine Frau! Der kurze spontane Anflug von Stolz weicht sofort dem Gefühl des Selbsthasses. Und der Furcht. Hatte ich doch eine wildfremde Frau abgeschleppt, und meine Freundin betrogen. Und das am Jahrestag! Wenn sie das heraus bekommt, bin ich tot. Oder noch viel schlimmer: Sie verlässt mich endgültig. Aaaargh, diese Kopfschmerzen. Wie kommt das? Ich war doch gerade noch quicklebendig in der Bar, und auf einmal bin ich in meinem Bett. Scheiß Filmriss.

Ich stehe auf und gehe in die Küche, um mir eine Tablette einer bekannten Pillendreher-Firma einzuschmeißen, die angeblich gegen alles hilft, aber nur bei Kopfschmerzen ihr Versprechen hält. Immer wieder bin ich darüber verwundert, wie der Kopf es schafft, im Vollsuff noch die Tür aufzuschließen, die Klamotten abzulegen, und alle Lichter aus zu machen, wo das Licht in der Birne schon länger aus zu sein scheint. Noch während die Tablette im Leitungswasser bruzzelt, fang ich an, von der flüssigen Hoffnung auf Ruhe zu trinken. Ich bin fertig und lasse das Glas langsam herunter. Und lasse es fallen. Es zerspringt in tausende von Stücken, aber das ist mir egal. Es ist still. Dann raffe ich mich auf: „Was machst DU denn hier?“.

Die Frau, die plötzlich im Türrahmen lehnt, kommt langsam in den Raum und sagt mit ruhiger Stimme: „Ich verzeihe Dir“. Ich bin verwirrt und glücklich zugleich. Denn es ist Jasmin, die diese Worte ausspricht. Meine Jasmin. Und nein, die Frau, die ich gestern kennen gelernt habe, hieß nicht auch zufälligerweise Jasmin. Das glaube ich zumindest. Hatte ich sie überhaupt nach ihren Namen gefragt? Egal. Jetzt ist alles egal. Ich setze mich auf die Couch im Wohnzimmer. Nach wenigen Minuten kommt Jasmin mit einer frischen Tasse Kaffee dazu „Und, wie geht’s dem Kopf?“. „Ach, hör mir auf. Ich weiß gar nicht, wo der her kommt…“ entgegne ich ihr. Sie lächelt verschmitzt und beginnt eine kleine Geschichte zu erzählen:

“Ich muss Dir noch mal sagen, dass ich gestern sehr sauer auf Dich war. Immerhin haben wir unseren zweiten Hochzeitstag gefeiert.“ Mist, war es doch schon der zweite, denke ich mir. Sie fährt fort. „Dass Du den vergisst ist mir ja schon gleichgültig geworden. Aber ich erinnere Dich mehrfach dran, und Du kommst mit so einem Spaß-Shirt an! Ich hätte Dich köpfen können.“ Genau so fühlt es sich grad an. „Und als Du dann meintest, mich in diesen Schuppen von Bar schleppen zu müssen, um mich da voll zu spucken, während Du mir ‚Du hast drei Haare auf der Brust und bist ein Bär!’ entgegenbrüllst, hörte der Spaß auf. Ich bin aufgestanden und habe mich an einen der hinteren Tische gesetzt. Und geweint. Ich war untröstlich. Ich habe Dich weiter beobachtet, und gesehen, wie Du Dir einen Schnaps nach dem anderen bestellt hast. Bis der Barkeeper Dich weggeschickt hat. Du bist gegen den Kickertisch gerempelt und konntest eine dicke, alte Frau dazu überreden, gegen Dich zu spielen. Du hast fünf Mal in das eigene Tor getroffen und bist wütend davon geschlendert. Dann setzt Du Dich an einen einsamen Tisch und redest scheinbar mit Dir selbst. Ich war schon kurz davor, zu Dir rüber zu kommen, weil ich es nicht mit ansehen konnte. Doch dann sehe ich, wie Du schamlos versucht hast, eine der Kellnerinnen immer wieder anzumachen. Beim vierten Mal gibt sie Dir eine Backpfeife und Du sinkst wieder in Deinen Stuhl zurück.

Dann schienst Du geschlafen zu haben. Allerdings wurdest Du von der Köchin aufgeweckt, als diese die Schürze ihrer Kollegin in einem Schrank hinten gesucht hat. Die Kollegin stand in ihrem roten T-Shirt mit einer Gabel herumfuchtelnd hinter Dir und rief zu der Köchin „Die ist doch gar nicht da!“. Diese schrie in ihrer weißen Schürze zurück „Doch, doch, die ist immer da! Im Schrank, wo sie hingehört.“

Du wirktest etwas verstört, wolltest aufstehen und bist beinahe auf den Nachbarstisch gefallen. Die dort sitzende ältere Dame hat Dich von ihr weggeschubst, und Du bist genau auf mich zu gefallen und kurz vor meinem Tisch gelandet. Während Du Dich versuchst aufzurappeln, lallst Du mir irgendwas entgegen, wie ‚Du’sch a heisch’sch Stck!’. Ich antworte mit ‚Äh, bitte was?’ und Du setzt Dich direkt neben mir. ‚Al-a-alley okay?’ – ‚Nein, nichts ist in Ordnung!’. Als ich das gesagt hatte, warst Du auch schon wieder eingeschlafen. Ich habe uns ein Taxi bestellt, und uns nach Hause gebracht. Im Taxi hast Du im Schlaf gesprochen, wie leid es Dir tut, und dass ich nicht gehen soll. Das war soo süß, da konnte ich Dir nicht mehr sauer sein.“

Jasmin trinkt einen Schluck von ihrem Kaffee und schaut mich verträumt an. „Dieser Kater ist auch Bestrafung genug, sag ich Dir.“ Sie grinst. „Na, wenigstens habe ich nichts peinliches angestellt“ sage ich mit einem Augenzwinkern, ihr mit den Fingern durch das schöne blonde Haar fahrend. Jasmins Grinsen wird noch breiter. „Na dann solltest Du die nächsten Tage nicht mit den Nachbarn reden. Die haben sich nämlich gewundert, als ein Halbnackter versucht hat, ihre Tür aufzuschließen.“

Ich versinke in Scham und im Schoss meiner Freundin. Meiner Jasmin. Meiner Bärin.

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