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Kein Wochenrückblick

Meine Gedanken zu Paris

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Normalerweise ist LangweileDich.net eher eine Spielwiese der Zerstreuung, die eine gegenläufige Konnotation zu all dem Schlimmen da draußen darstellt. Wer Ablenkung und positive Gedanken und Inhalte sucht, ist hier willkommen und wird nicht auch noch zum drölfzigsten Mal an den Terror erinnert. Und normalerweise gibt es Sonntags hier den Rückblick auf meine bescheidene Woche als Blogger zu lesen. Aber diese Woche möchte ich das anders sein. Nichts ist in dieser Woche bei mir passiert, was auch nur annähernd erzählenswert wäre im Gedanken an die Vorkommnisse in Paris Freitagnacht. Daher möchte ich diesen Slot wie eingangs erwähnt auch als Möglichkeit der Wochenkolumne zu einem bestimmten Thema nutzen, das mich bewegt. Denn letztlich hat die Woche ihren größten Einschlag eben durch die Anschläge erhalten.

Und nein, hier geht es nicht um eine recherchierte und auf Fakten basierte Zusammmenfassung der Geschehnisse – das habt ihr schon x-fach erhalten. Es geht lediglich um meine eigene Gefühlswelt zur Thematik und den Gedanken, die mir im Hinblick auf den Umgang damit gekommen sind. Vielleicht hilft es am Ende auch nur mir, das Ganze mal zu ordnen und in Wort zu fassen. Vielleicht lösche ich den Beitrag auch am Ende und ihr bekommt ihn nie zu sehen – aber am Ende bin ich ein zu impulsives offenes Buch, um das nicht mit euch zu teilen. Und wer weiß – vielleicht denkt ja jemand von euch genau so, oder wird zumindest in seinen Gedanken inspiriert und bereichert.

Angst vor dem Aufwachen

Länger hatte ich überlegt, ob ich überhaupt was dazu schreibe. Vielleicht ist es ganz gut, dass zumindest anderthalb Tage Distanz zwischen den emotionalen Erlebnissen und dem Verfassen dieses Beitrags liegen.

Freundschaftsspiele der Nationalmannschaft haben es mir seit Jahren nicht mehr so sehr angetan, als dass ich in ein Argument mit meiner Freundin bzgl. der Fernbedienung treten würde. Also haben wir das „Wer wird Millionär?“-Jackpot-Special angeschaut. In einer Werbepause mal kurz rüber geschaltet – 0:0, vermutlich langweilig. Alles wirkt im Nachgang sehr trivial und bescheuert, wenn wir uns die bestmögliche Talkshow-Besetzung aussuchen und Til Schweiger beim Nuscheln zuhören, während ich am Handy die Push-Nachricht einer 0:2-Niederlage erhalte und bei Twitter zwischendrin mal flüchtig was von „Personen auf dem Spielfeld“ lese. Nach dem Abpfiff auf das Spielfeld gerannt? Immer diese Idioten unter den Fußball“fans“ aber auch…

Und dann liege ich im Bett, gehe vor dem Schlafengehen noch einmal meine Mails durch und schaue bei Twitter rein – und es trifft mich wie einen Schlag. 20 Tote in Paris? 26 Tote? Vermutlich mindestens 30 Tote und 100 Geiseln?! What the…? Etwa eine Stunde lese ich Tweets, schaue ich mir Live-Berichterattung an und durchforste News-Seiten. Gegen halb Eins denke ich mir dann, dass ich irgendwann schlafen muss – und habe Angst davor. Wie hoch wird die Zahl sein, wenn ich aufwache? Die Polizeitstürmung der Konzerthalle war in Planung und ich soll in Ruhe einschlafen? Gefühlt nur ein paar hundert Kilometer weiter östlich liegend? Hmpf…

Überforderte Medien – Überraschung!

Es gab Kritik an der ARD für die Berichterstattung zu den Vorfällen. Wenn ich als Fußballreporter zu einem Länderspiel fahre, bin ich vorbereitet, was die Aufstellungen der Teams angeht, habe mich vielleicht etwas mit Paris auseinander gesetzt, aber meine komplette journalistische Tätigkeit beruht auf lockerleichten Lederball-Themen – nicht auf Krieg. Natürlich sind die Menschen (ja, auch Journalisten und TV-Personen sind Menschen, man mag es kaum glauben…) da schockiert, wissen nicht, was sie tun sollen und wollen am liebsten ganz schnell ganz weit weg. Wenn dann das Programm nicht wie eine seit Tagen recherchierte und geprobte Medien-Veranstaltung aussieht, ist das komplett normal. Die Nachrichten-Leute müssen erst einmal aktiviert werden, sich einen Überblick verschaffen, vor Ort sein, etc. pp. Udo Stiehl hat das ganz gut zusammen gefasst (daher gehe ich da nicht weiter drauf ein).

Und wenn ich dann einen Live-Stream eines französischen Senders mit lauter Amateur-Videomaterial und Hörensagen sehe, hilft mir das auch nicht sondern schürt Unsicherheiten und emotionale Verwirrung nur noch mehr in mir.

Unberuhigende Social Media-Nähe

Schlimmer ist es noch, solche Geschehnisse mittlerweile so unheimlich nah miterleben zu können. Du liegst im ruhigen Bett und kannst dir Persicope-Mitschnitte aus den Terror-Gebieten anschauen. Ich habe das aus den unterschiedlichsten Gründen nicht gemacht, aber alleine die Tatsache, wie viele Meinungen und Kommentare und Medien-Berichterstattungen man sekündlich in den Feed gespült bekommt – Wahnsinn. Das ist natürlich gut, was die Aufklärung und breite Berichterstattung und das Tempo angeht, aber es birgt eben auch verdammt verschreckende Direktheiten, wenn wir sehen, wie Polizeikräfte sich hinter Autos verschanzen, weil es nicht etwa eine Nachberichterstattung ist, sondern alles fucking-verdammtnochmal-gerade passiert. Uff.

Wenn eine scheinbar neue Facebook-Funktion mir plötzlich anzeigt, dass meine Freunde A und B sich selbst beim „Terror Ereignis in Paris“ als „in Sicherheit“ markiert haben, bin ich natürlich froh darüber, aber denke mir auch, wie abartig diese Welt ist, wenn es dazu mittlerweile standardisierte Social Media-Features zu gibt. Das ist derart normal und häufig, dass wir so etwas haben. Das ist irre. Nichts gegen die Funktion, aber das bringt einen zum Grübeln, wie so etwas auf einer Stufe mit Beziehungs-Status und Check-Ins in Discos liegt…

Und dann sieht man das Netz voller geänderter Profilbilder, das (visuell verdammt großartig gelungene!) Symbol das Peace-Zeichens mit einem Eiffelturm darin an jeder Ecke. Das ist an sich super, zeigt es, wie viele Leute betroffen sind, in Gedanken und mit dem Herzen gerade bei all den Familien, die so unahnbar schlimmere Gedanken und Dinge durchmachen, als man selbst gerade, der auch verstört daheim liegt, sitzt oder steht. Aber hier und da wirkt es auch wie eine Pseudo-Anteilnahme als Form der Selbstinszenierung, bei Instagram habe ich gar das Gefühl, dass die Jagd nach „Anteilnahme-Favs“ eröffnet ist, wenn das eine Bild das andere merklich übertreffen möchte und es statt ehrlicher Worte nur Hashtags und Phrasen über „Poesiebuch-Zitate“ zu lesen gibt. Vielleicht ist es nicht so gemeint und auch ich hatte kurz überlegt, ob ich das minimalistische Paris-Peace-Bild posten soll, habe mich dann aber dagegen entschieden (weil es eben nicht zur Zerstreuungs-Plattform passt).

Und ja, wie soll und will man gerade helfen, außer sich derart öffentlich zu positionieren? Das hilft natürlich wenig bis gar nichts, aber man fühlt sich eben auch als Opfer, dem die Hände gebunden sind, das Angst vor eigenen Schicksalen hat und vor Schock gelähmt vor diesem Internet sitzt. Vielleicht hilft es da wenigstens den Leuten, die in der gleichen Situation sind und ein wenig Solidarität im Umgang mit solchen Nachrichten suchen. Mir ist hier bewusst, dass ich mich glaube ich während der letzten Absätze mehrfach gedreht und selbst wiedersprochen habe, aber es ist eben nicht alles Schwarz-Weiß – wie auch bei der Interpretation der Ereignisse im größeren Rahmen.

Falsche Schlüsse

Wenn ich lese, dass mal wieder bescheuerte Personengruppe so etwas Ausländern in die Schuhe schieben, Nationen angeben, ihre Flüchtlingsquoten nicht zu erfüllen oder Moslems auf aller Welt am Montag Angst haben müssen, auf ihre Arbeit oder in die Schule zu gehen, weil ein paar Bekloppte ihrer Religion sich selbige zum argumentativen Arschabwischen ausgeliehen haben und sich dahinter verstecken, muss ich kotzen.

Keine Flüchtlinge haben das gemacht – Flüchtlinge flüchten vor genau sowas! Und wenn diese neumodische Gesellschaft, die alles so wunderbar kritisieren kann, nach angeblich sexistischen Müllermilch-Verpackungen nun kritisiert, dass man ein solches Ereignis im Nachbarland plötzlich „ernst nimmt“ und „betroffen ist“, obwohl sowas weiter weg auf der Welt x-fach im Monat passiert (und bspw. am gleichen Abend ja auch in Beirut, was weniger berichterstattet wurde), kann man da mit zwei Dingen antworten.

Erstens: Stichwort Nachrichtenfaktoren. Geografische und kulturelle Nähe ist seit jeher ein bestimmender Faktor über den Wert von Nachrichten und somit auch ihrer Relevanz in der Berichterstattung. Zweitens: Vielleicht ist es ja auch ein Gutes (wenn es so etwas in einer solchen Tragödie überhaupt geben sollte), dass nun auch Leute auf solche beschissenen Idioten und deren Missstände (sowie in dem Zuge auch deren weltweite „Aktivitäten“) aufmerksam werden, die es sonst nicht mitbekommen. Es sonst für sich ausblenden, auf dumm-lustige Blogs wie diesen hier gehen und sich im Tunnelblick durch ihr Leben bewegen. „Das ist ja alles ganz weit weg, was interessiert mich das schon?“. Jetzt wissen sie, dass es theoretisch ganz schnell gehen kann und man sich einfach glücklich schätzen kann, wenn man ein Leben ohne Terror vor der eigenen Haustür lebt.

Ich hau das Ding jetzt hier ohne Gegenlesen raus. Macht damit, was ihr wollt, ich versuche jetzt, auf andere Gedanken zu kommen. Und nein, das ist keine Ignoranz zu dem Thema, meine Anteilnahme zu den Familien, die ihre Liebsten verloren haben und all diejenigen, die im Schock vor solch Grausamkeit gerade dahin leben, ist weiterhin bestehend. Aber gerade ist es ein Graus, das Internet zu betreten vor falschen Fakten, falscher Betroffenheit und ständigen Wiederholungen. Ich hoffe einfach, dass die richtigen Schlüsse gezogen werden, ein Europa durch so etwas zusammen wächst und nicht weiter auseinander fällt und die Idioten auch dieser Nation so etwas nicht als weitere Dämlichkeits-Munition für ihre Waffen der Bescheuertheit nutzen können. Jeder soll sich sein eigenes Bild machen, aber auch mit offenen Augen durch diese neue Medien-Welt gehen. Merci für die Aufmerksamkeit derer, die bis hier gelesen haben – obwohl das Thema grad überall ist.

(Das illustrierte Eiffelturm-Motiv stammt von hier)

Beitrag von: Maik Sonntag, 15. November 2015, 15:15 Uhr

7 Kommentare

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  4. Hallo Maik, ich sehe es genau so wie du. Ich konnte gestern nichts posten, ich hab da schon ein bisschen Angst, dass bei uns auch mal sowas passiert.
    Wie du weisst denke ich über die Gründe der Flüchtlinge genau so wie du, die Welt ist echt verrückt für mich.
    Wünsche noch einen schönen Rest-Sonntag
    LG Livia

  5. Torsten says

    Danke Maik. Ich finde es auch besorgniserregend wie sich facebook und Co mit den Ereignissen profilieren wollen. Wenn ich sehe wie viele ihr Profilbild verändert haben wird mir schlecht. Nichts gegen Betroffenheit und Anteilnahme, aber das ist ein Schnellschuss in jeder Hinsicht. Abgesehen davon finde ich es heuchlerisch und einfach falsch so wenig Aufmerksamkeit auf Beirut und Bagdad zu richten – aber das ist ein anderes Thema.
    Danke nochmal für deine Sicht der Dinge.

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