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kurzweil-ICH: „Ich will mich nicht langweilen“ – Frank Turner im Interview

Du hast nun schon manche Dinge erwähnt, Olympia, Wembley, übrigens Glückwünsch zu Platz 2 in den UK-Charts …

Oh, danke. Ja, das ist nach wie vor seltsam.

… zusammengefasst kann man also sagen: Du hast mittlerweile vermutlich deutlich mehr Termine, spielst in TV- und Radio-Sendungen und so etwas. Inwiefern beeinflusst das deine tägliche Routine, insbesondere weil du ja vieles immer noch selbst macht, zum Beispiel die Social Media-Seiten.

Ich bin besser darin geworden, zu delegieren. Ich habe nichts mehr mit meinem Merchandise zu tun, ich habe das mal alles selbst gemacht, als designt, verkauft und den ganzen Scheiß, aber jetzt kümmert sich jemand darum. Es gibt übrigens Leute, die mir deshalb Ausverkauf vorwerfen, weil ich meine T-Shirts nicht mehr selbst verkaufe… denen sag ich nur: just fuck off.

Also, mein Presse-Terminkalender ist deutlich voller, gleichzeitig lege ich auf Tour aber öfter einen Ruhetag ein als früher. Einmal haben wir 21 Konzerte hintereinander ohne einen freien Tag dazwischen gespielt. Das können wir jetzt einfach nicht mehr, wir versuchen nach je vier Konzerten immer einen Tag frei zu machen.

Die Sache ist: Gestern Abend habe ich mit einer sehr guten Freundin von mir verbracht, die ich lange nicht gesehen hab. Wir saßen an der East Gallery und sie fragte mich: „Was ist dein Ziel mit all dem? Wo soll das enden?“ Und ich sagte: „Ich will mich nicht langweilen“. Deshalb mache ich immer neue Sachen… also, ich habe jeden verdammten Vorwurf von jedem Deppen gehört, dass ich mich verkauft habe: „Oh, du hast in dieser TV-Sendung gespielt“, „oh, ich hab dich in diesem Radiosender gehört“, „oh, du hast mit dieser Band gespielt, warst auf diesem Festival“ und so ein Scheiß. Aber ich will mich einfach nicht wiederholen, das gilt sowohl auf kreativer als auch auf organisatorischer Ebene.

Unterm Strich ist es aber so: Ich achte immer noch darauf, was die Tickets kosten, was die Merchandise-Sachen kosten, versuche sicherzustellen, dass wir keine CD mit zehn alten und zwei neuen Songs veröffentlichen und so etwas. Ich kann dir genau sagen, was die Tickets kosten, was die Dinge auf dem Merchtable kosten, wie viel jeder in meiner Crew verdient. Ich bin also offensichtlich immer noch sehr in diese Dinge involviert. Aber ich will eben gegen jede Tür drücken, schauen ob sie sich öffnet, falls ja, durch sie durchgehen und schauen, was sich dahinter verbirgt, ob da noch andere Türen sind. Ich sehe einfach keinen Sinn darin, in dieser „militanten Engstirnigkeit“ zu verbleiben, nach dem Motto „Ich bleibe in der Welt, die ich kenne“ – wer das machen will, das ist großartig, aber ich will das nicht. Das Leben ist kurz, man bekommt nur ein paar Chancen und die sollte man nutzen.

Mit all dem im Hinterkopf: Du hast immer versucht, in engem Kontakt mit deinen Fans zu bleiben. Wird das schwieriger? Gehst du nach den Konzerten zum Beispiel immer noch raus in den Saal?

Hm, ja, die Nach-dem-Konzert-Sache ist interessant. In Europa ist es nach wie vor absolut okay, in Großbritannien ist es mittlerweile etwas formeller geworden, da gibt es normalerweise einen Security-Mann und die Leute stellen sich in einer Schlange an, man hängt nicht mehr locker miteinander ab, sondern es hat eher was von einem Meet & Greet. Das deprimiert mich ein wenig, aber ich glaube, es ist besser es so zu machen als es gar nicht zu machen, deswegen mache ich es immer noch.

Mein Hauptanliegen mit dem ist… Meine E-Mail-Adresse steht auf meiner Seite und ich verbringe jeden Tag viel Zeit damit, Fan-E-Mails zu beantworten und das ist in Ordnung, es eine gute Sache, weil es dabei hilft, Barrieren zwischen mir und den Leuten, die meine Musik hören, abzubauen. Es erweitert außerdem meinen Horizont: Ich bekomme E-Mails aus aller Welt und die Leute erzählen mir Geschichten darüber, was passierte, während sie meine Songs hörten – und das ist wirklich interessant und erhellend für mich. Es ist wirklich lustig, weil jedes Mal, wenn irgendetwas passiert ist, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben, hat irgendjemand irgendwie, meistens mein Manager so etwas gesagt wie: „Wir müssen deine E-Mail-Adresse wahrscheinlich irgendwann von der Seite nehmen“. Und jedes Mal sagte ich: „Blödsinn, nein“. Sie ist immer noch da und das hat sich nicht verändert.

kurzweil-ICH: "Ich will mich nicht langweilen" - Frank Turner im Interview Interview_Turner_04

(C) Dan Griffiths

Ein Zeichen der Verbindung zu deinen Fans sind Tätowierungen, du hast sogar eine eigene Facebook-Seite dafür aufgemacht. Setzt dich das in irgendeiner Form unter Druck, so nach dem Motto „manche Leute haben Textzeilen von mir auf ihren Armen oder mein Gesicht auf ihren Beinen, ich sollte das alles nicht versauen“?

Über die Tattoo-Sache habe ich lange nachgedacht. Ursprünglich war das nur eine Galerie auf der Haupt-Facebook-Seite, aber ärgerlicherweise kann man bei Facebook keine Bilder hinzufügen, ohne die ganze Galerie wieder zu posten – und das hat mich genervt.

Aber zurück zu den Tattoos: Auf der einen Seite ist ein riesiges Kompliment, es ist wirklich cool, ich habe selbst einige musikbezogene Tattoos und ich mag die Tattoo-Kultur. Aber ich würde niemals wollen, dass sich irgendjemand tätowieren lässt, nur damit er auf eine Facebook-Seite kommt – das ist das Lahmste was ich jemals gehört habe – und ich will vor allem auch jüngere Leute nicht ermutigen, loszulaufen und sich tätowieren zu lassen, weil Tattoos eben offensichtlich dauerhaft sind.

Betreffend ob ich mich in irgendeiner Form verantwortlich fühle – und nochmal: ich habe viel darüber nachgedacht –, muss ich sagen, dass ich das sehr stark ablehne, wenn sich jemand freiwillig Texte von mir oder irgendetwas tätowieren lässt. Es ist ein freiwilliger Akt von jemandem, den ich nicht kenne, ich schulde dieser Person danach nichts. Ich habe immer versucht, in meinen Leben offen und ehrlich zu sein, und wenn ich damit aufhören würde, nur weil ich Angst davor hätte, jemanden zu verärgern, dann hätte ich es bereits getan, das wäre wie eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Ich werde weiter versuchen, alles nach bestem Wissen zu machen, auch wenn das manche Leute irgendwann verärgert, das passiert meistens… Es ist eine lustige Geschichte, wenn man als Musiker erfolgreicher wird: Als Underground-Musiker kennen deine Band nur die Leute, die dich mögen. Auf einem höheren Level hören aber viele Leute deine Musik und nur einige davon mögen sie auch, man muss als ein deutlich dickeres Fell entwickeln, hab ich festgestellt (lacht). Aber es ist auch einfach viel interessanter so.

Eine letzte Sache noch, die nichts mit deinem neuem Album zu tun hat, aber mit deiner Zweitband „Möngöl Hörde“. Wie ist da der Stand?

Ursprünglich hat „Möngöl Hörde“ angefangen, als wir mal zehn Tage frei hatten und ich irgendwie vorhatte, eine Band zu gründen und ein paar Konzerte zu spielen, absolut lächerlich. Es ist aber etwas, was ich eigentlich schon seit langer Zeit machen wollte, einerseits um dieses musikalische Jucken zu befriedigen, anderseits weil ich wirklich Musik mit Ben, dem Drummer, machen wollte, weil er ein sehr alter Freund ist und wir viele Jahre zusammengespielt haben. Es macht einfach Spaß, nicht, dass es nicht auch ernst wäre, aber es hat nicht die höchste Priorität. Was also passiert ist folgendes: Wir machen ein Album, vielleicht nicht alle zusammen, ich glaube eher, dass die anderen sich um die Musik kümmern, während ich Pressetermine wahrnehme oder so (lacht). Und dann werde ich versuchen, den Gesang fertig zu schreiben und aufzunehmen und am Ende haben wir ein Album, dass wir veröffentlichen und mit dem wir touren. Und das wollen wir alle definitiv machen, aber vermutlich nicht vor nächstem Jahr. Auf eine Art ist das gut, denn ich will es nicht einfach nur veröffentlichen und es untergehen lassen. Wenn es jetzt fertig wäre, würde ich es nicht rausbringen, weil zu viel anderer Kram in meinem „Alltagsjob“ passiert und ich will, dass die Leute „Möngöl Hörde“ als eine Band sehen, eben weil es eine echte Band ist.

Es ist in der Tat recht lustig, ich hab mich sehr daran gewöhnt, ein Solokünstler zu sein und dabei vergessen, wie es in der Demokratie einer Band ist. Wir hatten da ein paar Diskussionen und ich war mit einer Entscheidung nicht einverstanden – aber ich wurde überstimmt und dachte: Was? (lacht) Weißt du, die kreative Kontrolle zu haben ist eine nette Sache, aber plötzlich wurde ich überstimmt, das hatte ich ganz vergessen (lacht). Aber es macht Spaß und es befreit einen kreativ ungemein, in dieser Band zu sein. Wir haben neun Songs innerhalb von zwei Proben geschrieben, was keine Frage von Lässigkeit ist, sondern der Spontaneität. Während ich meistens über jeden Gitarrenakkord und -anschlag, jeden Schlagzeugkick und jede Silbe nachdenke, haue ich die Texte jetzt einfach so raus, die meisten bleiben im Zustand des ersten Entwurfs. Und es fühlt sich so an, als ob das manchmal eine gute Idee ist. Es macht außerdem einfach Spaß, Texte auf diese Art zu schreiben, denn im Endeffekt kreiere ich immer ein Szenario, das darin endet, dass ich Beleidigungen in die erste Reihe schreie… (lacht)

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Das war das Interview. Auf der nächsten Seite findet ihr noch die englische Originalversion.

Dieser Beitrag hat mehrere Seiten:

2 Kommentare

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