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Neue Kolumne von Owley

Tunnelblick

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Seit dem letzten Dezember ist er nun endlich Tatsache – der neue Gotthardtunnel. Als Teil des NEAT-Projekts soll er Nord- und Südeuropa schneller verbinden. Diesen Sommer bin ich zum ersten Mal durchgefahren, als ich ins Tessin reiste. Ich war im Vorfeld schon ganz gespannt wie das so sein wird, so mit diesem neuen Tunnel, der ja der Längste der Welt ist und huiuiui, jetzt geht alles ganz schnell und Gottohgott ist das spannend!

Naja. Es war dann am Ende halt einfach… ein Tunnel.

Hätte man jetzt sicher ahnen können, aber mir wurde es erst so richtig bewusst, als ich irgendwann vor Bellinzona merkte, dass ich offenbar die Durchfahrt komplett verpasst hatte. Nicht verschlafen, sondern ganz einfach verpasst. Ich schloss daraus, dass der Tunnel gar nicht so spektakulär gewesen sein kann. Und in diesem Moment erinnerte ich mich wieder daran, wie die Reise durch den Gotthard früher, vor der Eröffnung des neuen Tunnels, vonstatten ging. Ich wurde ein bisschen wehmütig.

Wer schon einmal auf der alten Strecke durch den Gotthard gefahren ist, der weiss sicherlich um die Besonderheit dieser Reiseroute. Die alte Zugstrecke führt nämlich schlaufenartig durch den Berg und dabei am kleinen Dorf Wassen vorbei. Durch die Windungen der Gotthardstrecke ist die Dorfkirche von drei verschiedenen Punkten aus sichtbar. Dieses Kuriosum machte die Reise durch den Berg zu einem richtigen Highlight und auf jeder Fahrt durch den Gotthard hörte man irgendwo im Zug einen Vater seinem Spross dieses Phänomen erklären. Das Zelebrieren dieser Kirche war eine Schweizer Tradition wie der Erstaugust oder Fremdenhass. Auch wenn wir Schweizer keine richtigen Weltwunder haben, das «Chileli vo Wasse» war eines.

Und nun haben wir es also geopfert, um eine halbe Stunde einzusparen. Es ist zum Heulen. Natürlich gibt es die kleine Kirche noch. Und die SBB betreibt die alte Strecke sogar immer noch – jetzt einfach als «Gotthard Panorama Express» oder mit Regionalzügen. Aber wenn man von Zürich oder Luzern aus ohne Umsteigen in den Süden will, bleibt einem nur noch der neue Tunnel. Und auch wenn ich es zwar ganz tragisch finde, dass der Zug nicht mehr an der kleinen Kirche vorbeifährt, dafür Umsteigen würde ich nicht. Reklamieren will ich schon, aber faul sein eben auch.

Auf der Rückfahrt aus meinen Ferien im Tessin habe ich mir dann vorgenommen, genau hinzuschauen. Vielleicht ist es ja gar kein so saublöder Tunnel, wie ich das Gefühl hatte. Man muss ihm ja zumindest eine Chance geben. Vielleicht gibt es ja irgendetwas, was die Fahrt durch diese Röhre total lässig macht. Vielleicht vergisst man danach sogar das «Chileli vo Wasse». Hoffen kann man ja. Und so setzte ich mich hin, stützte meinen Ellenbogen auf dem Tischchen im Abteil ab und meinen Kopf wiederum auf dem Ellenbogen. Hochkonzentriert blickte ich aus dem Fenster auf die graue Tunnelwand, während der Zug mit 200km/h durch die Röhre sauste.

Eine Viertelstunde später war es offiziell: Der Tunnel ist blöd. Nichts Spannendes war während meiner Fahrt passiert. Ich wusste zwar selber nicht recht, was ich erwartet hatte, aber es war auf jeden Fall nicht eingetroffen. Es gibt nichts, was den neuen Gotthardtunnel lässig macht. Rein gar nichts. Er ist nicht lustig, er ist dunkel und grau und doof und ich mag ihn nicht.
Saublöder Tunnel.

Der Zürcher Künstler Owley Samter (Website) schreibt und illustriert in seiner Kolumne über die Unterschiede und Vorurteile zwischen der Schweiz und Deutschland.

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