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Meine neue Kurzgeschichte

15:10

15:10 15-10

„Ja, aber klar doch!“
„Sicher, dass du das schaffst?“
„Natürlich. Ihr seid doch meine Super-Buddies!“
„Hehe, okay. Danke schon einmal. So ein Umzug ist immer nervig, da sind wir froh über jede Hilfe…“
„Kein Ding, Bro. 15:10 Uhr, richtig? Bin dann da. Das wird easy, aber jetzt erstmal Kraft antrinken. Noch eine Runde Sambuca?! Geht auf mich!“

Meinem Kopf nach zu urteilen waren das mehr als eine Runde Sambuca gestern Abend. Das kann ich aber auch nur noch der leeren Flasche entnehmen, mit der ich fest umschlungen in meinen Bettlaken kuschel. Ansonsten ist der Abend blank wie ein schlechter Pokerspieler. Ich weiß einfach nichts mehr. Shit, hoffentlich habe ich die Flasche nicht im Club gekauft – die zocken einen immer ab mit ihren Wucherpreisen…

Dass mir so etwas noch einmal passieren würde. Blackout dank Überdosis Alkohol. Mit 33 Jahren. Vermutlich hat das Greisengleiche Alter damit zu tun. Mein Körper ist diese jugendliche Belastung nicht mehr gewohnt, vor allem nicht Leber und Kopf. Argh, diese Schmerzen. Der Wecker zeigt „10:15“ in roten Lettern. Wieso bin ich eigentlich schon wach?! Wobei, ich weiß ja nicht einmal mehr, wann ich ins Bett gegangen bin. Vielleicht habe ich ja voll lange geschlafen? Beim Hinsetzen auf die Bettkante argumentiert mein Kopf lautstark dagegen.


Nach etwa zwei Stunden weiterem Schlaf versuche ich beim Knistern einer auflösenden Kopfschmerz-Tablette den gestrigen Abend zu rekonstruieren. Mist, ich muss mal wieder neue Tabletten holen. Früher waren da doch 15 in der Packung – jetzt nur noch 10?! Vermutlich zum gleichen Preis. Wucher, genau wie bei der Flasche! Okay, ich schweife ab…

Erst waren wir bei Bernd und Jessi gestern, das weiß ich noch. So ein „ruhiger Abend“ mit etwas Wein und vielen guten Gesprächen. So der Plan. Aber ich schieß mich doch nicht bei Bernd und Jessi ab?! Die Tablette hat ausgeknistert und kippe die hellbläuliche Medizin in einem Zug runter. Das ergibt alles keinen Sinn. Ich entscheide mich vorerst abzulenken und schalte den Flugmodus meines Handys aus, um zu schauen, was in der Welt so passiert ist, als ich „weg“ war. Oh man, schon wieder 10-15 Tote bei einem Anschlag? Das sind alles solche Arschfotz – *PLING!*

Eine SMS von Karo? Von 01:51 Uhr.
„Hoffe, du bist gut heim gekommen. Cool, dass du noch mitgekommen bist! xxx“

Okay… Das erklärt schon einmal was. Bin ich scheinbar gegen 2 ins Bett gegangen. Dazu zwei verpasste Anrufe von Ingo. Vielleicht kann er mir mehr sagen? Ich rufe ihn zurück. Nichts. Nicht einmal ein Freizeichen, direkt zur Mailbox. Verdammt.
Ich beschließe, etwas frische Luft zu tanken. Immerhin ist Samstag und ich muss eh noch Einkaufen, um das Wochenende zu überleben. Schon alleine neue Kopfschmerztabletten. Nachdem ich kurz im Supermarkt war, gehe ich zur Apotheke. Da passiert mir etwas ganz Kurioses, das ich sofort mal twittern muss:

@LangweileDich – 13:50
Ich musste zwei Mal kurz hintereinander jeweils 15,10 Euro in Geschäften zahlen – Zufälle gibt’s!

Schon kurios, wie die Welt manchmal so spielt. Ich fahre noch in die Innenstadt, wenn ich schon einmal aus dem Haus bin. Vom 15er Bus steige ich in die Bahn-Linie 10 um. Ich scheine heute Glück zu haben, kaum Wartezeit und keine Verspätungen, sehr nice. Und dann dazu noch das goldige Kaiserwetter! Wobei das ja eigentlich verrückt ist. Wir haben Mitte Dezember und der Siri sagt mir, dass heute 15 bis 10 Grad Celsius werden. Weiße Weihnacht haben mal wieder nur die neureichen Koksnasen…

Plötzlich ein Erinnerungsfetzen! „Nase“ – da war doch was… Ich erinnere mich wage, wie Ingo in einem dunklen Laden mit flackerndem Licht an seine Nase gefasst hat. So ein bisschen wie Wickie früher in der Kindersendung. Hm, und was soll mir das jetzt sagen? Irgendwie weiß ich nur, dass er danach gegangen ist. Seltsam… Ich beschließe, weiter zu gehen. Immerhin muss ich zeitig wieder zurück. Spätestens um 15 Uhr sollte ich zuhause sein. Dann geht die Bundesliga los. Letzter Spieltag des Jahres! In der Stadt werde ich noch einmal daran erinnert, als vor mir Leute in Dortmund-Trikots laufen. Das skurrile daran ist, dass ein sehr kleiner Mann auf dem Trikot die Rückennummer 15 und dem Namen „Hummels“ trägt, während eine deutlich größere Frau die Nummer 10 und „Mhkitaryan“ an hat. Hoffentlich bringen beide heute eine gute Leistung. Also die Fußballspieler, was die beiden in ihrer Freizeit machen, möchte ich gar nicht wissen…

Mittlerweile ist es etwa halb Drei. Ich muss reinhauen, damit ich das noch schaffe. Schnell über den Marktplatz und hoffen, nicht von den Gottes-Schreiern angesprochen zu werden. Ihr dürft alle glauben, was ihr wollt, selbst, dass Schalke mal Meister wird – aber das ist nichts für mich, bitte lasst mich einfach in Ruhe. Doch der Straßenprediger sieht, wie ich angsterfüllt zu ihm blicke. Je größer ich meinen Bogen um ihn herum ziehe, desto schneller kommt er auf mich zu. Ein Lächeln im Gesicht und ein Buch in der Hand. Umgekehrt wäre mir lieber.

„Kann ich mit dir über Gott sprechen?“
„Nein, Atheist, Tschüss…“
„Aber hier – Buch 15, Psalm 10 – darin steht geschrieben, dass…“
„Dass mich das nicht interessiert, tut mir leid, bin im Stress und schau mal da, ein dreiköpfiger Affe!“
„WILLST DU DIE ZEICHEN NICHT SEHEN, mein Junge?!“

Ich gehe weiter. Was für ein Blödsinn das alles. Zeichen. Klar doch, Gott schickt mir Zeichen. Der hat bestimmt Wichtigeres zu tun. Sollte sich mal lieber um diesen schrecklichen Anschlag und die Bescheuerten kümmern, die das verursacht haben. Oder diese Pegida-Dödel. Oder dass Bayern mal verliert. Der Fußballgott ist der einzige, an den ich hin und wieder glaube… Während ich darüber nachdenke, sehe ich auf einem Fernseher im Einkaufszentrum eine News-Meldung zum Anschlag. Schon kurios, dass ich gerade daran denke und es gezeigt wird…

„Bestätigt: 15 Tote, darunter 10 Deutsche“

Komisch, vorhin waren es noch 10 bis 15, jetzt 10 „aus“ 15… Eigentlich die gleichen Zahlen, aber eine andere Bedeutung. Da fällt mir der Tweet wieder ein. Zwei Mal 15,10 Euro. Schon wieder diese Zahlen… Und dann die Trikots vorhin! Gibt’s ja nicht… Sind das etwa wirklich Zeichen? Ich beschließe, den Härtetest zu machen.

„Hey, Kollege – wie ist das eigentlich mit den Geboten und so?“
„Ahh, der Herr! Die zehn Gebote? Klar doch – Kapitel 10, Psalm 15 wäre da: ‚ Es ward geschrieben, dass…“
„Alles klar, reicht, danke.“

Es muss irgendwas mit diesen Zahlen auf sich haben. 15 und 10. Hm. Ich versuche noch einmal, bei Ingo anzurufen, aber erneut nur die Mailbox. Plötzlich schießt ein weiterer Gedanke in meinen Kopf. Die Erinnerung von vorhin hat sich erweitert – ich glaube, ich hab es! Ich diskutiere mit der Barfrau, will ein Tablett mit 15 Sambuca. Die Flasche ist fast leer, es reicht nur noch für zehn. Ich höre Ingo noch „Ist vielleicht besser so“ sagen und sehe, wie er verschmitzt mit dem Finger seinen Nasenrücken entlang streift. Ich schaue verärgert zur Bardame. „Dann nehme ich die eben auch mit!“ rufe ich ihr entgegen und schnappe mir die leere Sambuca-Flasche.

Ahhh. Hm, ja. So wirklich viel schlauer bin ich jetzt auch nicht. Aber Ingo. Das muss irgendwas mit Ingo zu tun haben. Ich rufe Karo an, vielleicht weiß die, was war.

„Hallo?“
„Hey Karo, ich bin gerade etwas. Irritiert…“
„Wer ist da?“
„Ich bin’s…“
„Achso, ja. Wieder unter den Lebenden?“
„Ja, geht so. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr viel von gestern…“
„Geht mir ähnlich, du warst aber auch spendabel mit dem Sambuca unterwegs, Junge…“
„Echt?“
Daher also das wenige Geld in der Geldbörse.
„Sag mal, was war eigentlich mit Ingo los?“
„Ach, der alte Spielverderber ist schon super früh gegangen. Aber irgendwie auch logisch, mit dem Umzug und alles…“
Umzug? Umzug. UMZUG! Shit! Das war es. Umzug und ich sollte helfen.
„Ja, verständlich, duichmussweg…“ säusel ich noch in den Hörer und hänge auf. Verdammt, ich hatte das komplett vergessen. Dass ich Idiot aber auch all die „Zeichen“ nicht gesehen habe. Natürlich, um 15:10 Uhr sollte ich da sein. Schaffe ich das noch? Es ist kurz vor Drei. Ich nehme die 10er Bahn und steige in den 15er Bus und plötzlich sehe ich überall die Zeichen. 15 Stufen runter vom Bahnsteig, zehn Hunde auf der Wiese vor dem Stadtpark, 15:10 Uhr an der Kirchturmuhr. Mist, jetzt komme ich auf jeden Fall zu spät. Aber akademische Viertelstunde und so, das passt noch. Ich renne die letzten Meter und komme verschnauft an der Wohnung von Ingo an.

Ich klingel, aber keine macht auf. Bin ich etwa der Erste? Sind etwa alle anderen unpünktlicher als ich? Ha, das wäre doch mal was! Aber es bringt nichts, es kommt keiner. Mein erneuter Versuch, Ingo telefonisch zu erreichen, scheitert mal wieder. Ich sitze etwa 10 bis 15 Minuten auf der Treppe vor dem Haus, eher ein Transporter auf die Straße einbiegt. Wunderbar, da sind sie doch, hat es mit dem Auto vermutlich einfach länger gedauert.

Verwundert tritt Ingo aus dem Fahrzeug.
„Na, kommt ihr auch noch mal?!“ rufe ich ihm scherzhaft mit einem Lächeln entgegen.
„Du bist ja ein Witzbold, ey… Soll das jetzt ernst gemeint sein?!“
„Wieso, ihr seid doch super spät…“
„Ja, unter anderem wegen dir. Wir hatten auf deine Hilfe gezählt und du lässt uns hängen. Hatte extra angerufen. Leider war dann mein Handy-Akku leer.“
„Wie meinst du…? Ähm, klar. Und ich bin doch hier. 15:10 Uhr hatten wir doch gesagt! Wieso auch immer du eine so komische Uhrzeit genannt hattest…“
„Habe ich nicht. Ganz einfach. Wir hatten 10:15 Uhr vereinbart. Eigentlich wollten wir 10 Uhr vereinbaren, aber du hast was von „akademische Viertelstunde zum Ausschlafen“ gefaselt…“
„Oh. Verdammt. Das tut mir leid.“
„Ist jetzt auch egal. Wir haben es auch so geschafft. So recht konnte ich da eh nicht dran glauben, als du das letzte Tablett Sambuca bestellt hast. Sind halt auch nicht mehr die Jüngsten, woll?“
„Wem sagst du das.“
„Magst du mir noch eben bei den letzten Sachen helfen?“
„Klar, was denn?“
„Die 15 Kilogramm-Hanteln müssten noch in den zehnten Stock in der neuen Wohnung. Und leider ist der Fahrstuhl kaputt.“

Strafe, wem Strafe gebührt.

2 Kommentare

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